Die zweite Generation

Carl Bellinger ist 30 Jahre alt, als Otto Vahland stirbt. Er hat ihn nie kennen gelernt – aber er war derjenige, der die Firma nach dem Tod von Otto Vahland wieder zum Leben erweckt hat. Carl Bellinger hatte bei der Nordwolle in Delmenhorst Wollkaufmann gelernt und war während des Krieges aktiver Offizier. Er ist gefragt worden, ob er die Geschäfte von Jorns & Vahland führen möchte.

Im September 1946 stellen er als Geschäftsführer und Hedwig Vahland, Witwe von Otto Vahland, als Geschäftsinhaberin den Antrag auf Arbeitserlaubnis für Jorns & Vahland als „Wollgroßhandlung und Vertretungen für Export und Inland". Die Firma beliefert sowohl die Kammgarn- als auch die Streichgarnindustrie, in allererster Linie aber die Firmen des Streichgarnsektors, also die Tuch-, Filz-, Decken- und Hut-Fabriken, Streichgarnspinnereien und andere.

Als altes Mitglied des Bremer Wollvereins ist die Firma bei den bereits hereingekommenen bzw. in Aussicht stehenden Einfuhr-Wollen der britischen Militärregierung mit einem ansehnlichen Kontingent bedacht worden und wird zukünftig, wie in früheren Jahren, vollauf Beschäftigung finden. Die Firma hofft, in Kürze wieder auf die alte Zahl von 8-10 Angestellten zu kommen.“ (aus dem Antrag vom 30. September 1946).

Im Sommer 1947 stellte Jorns & Vahland einen Antrag beim Bremer Senator für Wirtschaft und Arbeit für eine Zulassung zum Großhandel mit Kleineisenwaren sowie Haus- und Küchengeräten. Doch der Senator lehnte ab. Zum einen, weil Jorns & Vahland nicht nachweisen konnte, „für eine zusätzliche Versorgung Bremens in der Lage zu sein“. Zum anderen „ist die Verbindung zwischen Wolle, Textilien und Eisenwaren als nicht glücklich anzusehen“. Das hielt Carl Bellinger jedoch nicht davon ab, mit dem einen oder anderen Produkt zu handeln, was mit Wolle so rein gar nichts zu tun hatte. Natürlich auch weiterhin mit Wolle, aber in den Nachkriegsjahren war Flexibilität gefragt, wenn man Geschäfte machen wollte.

Kuckucksuhren, moderne Feuerzeuge mit Brennstab, Perlmuttknöpfe – das sind nur einige der vielen Handelsgüter, die im Kontor in der Birkenstraße landeten. 1948 wurde Carl Bellinger Alleininhaber der Firma und konnte sich nun auch neu orientieren. Über die Wolle hatte er Kontakte in die Textilindustrie und handelte auch mit Perlmuttknöpfen. Die wurden in den späten Fünfzigern durch viel widerstandsfähigere Kunststoffknöpfe ersetzt. Die Nachfrage stieg, Carl Bellinger wollte selbst Knöpfe produzieren und suchte nun nach einer Maschine, um sie zu stanzen. Er hatte einen Freund beim Chemiekonzern Hoechst in Frankfurt. Dort hatte man zur gleichen Zeit das Polyethylen immer weiter entwickelt und Tafeln produziert, suchte aber nach Anwendern dafür. Hoechst wollte die Tafeln natürlich verkaufen, aber dafür mussten zunächst „brauchbare Produkte“ aus Polyethylen gefunden werden.

Carl Bellinger beantragte das „Patent für einen Schutz im Auto-Kofferraum“, ließ die Knöpfe Knöpfe sein und entwickelte mit Unterstützung der Anwendungstechnik von Hoechst eine Tiefziehmaschine, mit der solche Wannen produziert werden konnten. Die heute bekannten Hersteller der „Thermoform-Anlagen“ waren ebenso in den Anfängen. Es war eine wirkliche Pionierleistung, diese Maschinen zu entwickeln. Drei Jahre lang, von 1960 bis 1963, pendelte Carl Bellinger zwischen Frankfurt und Bremen, wo die Familie geblieben war. Jeweils zwei Wochen arbeitete er am Aufbau eines Kunststoffverarbeitungswerkes, zwei Wochen war er in dem Bremer Wollkontor. Das Büro hatte er inzwischen von der Birkenstraße in die Hermann-Böse-Straße verlegt, in das Haus, das Otto Vahland um 1910 gekauft hatte. Bis heute ist das Haus der Bremer Standort des Unternehmens.

Im Jahr 1960 (dem Geburtsjahr von Stefan Bellinger) war die spätere Entwicklung des Wollhandels noch nicht absehbar, aber dennoch hat Carl Bellinger sehr weitsichtig gehandelt, als er den Wollhandelsbereich komplett abwickelte und sich nur noch auf die Wannenproduktion konzentrierte. Mit Erfolg: 1963 zog die Produktion von Frankfurt nach Bremen-Vegesack um. In diesen Jahren mussten nicht nur die Produktion entwickelt, sondern auch Kunden und Vertriebswege gefunden werden.

Gedacht war diese Autowanne zunächst für Metzger. So konnten sie das Fleisch problemlos vom Schlachthof in ihren Betrieb transportieren, um es dort zu verarbeiten. Ein leichter Behälter, der einfach in den Kofferraum zu setzen ist und trotzdem genau passt, lebensmittelecht und zudem noch leicht zu reinigen, indem man ihn einfach abspült.

So viele gute Eigenschaften auf einmal – davon mussten jetzt nur noch die Metzger überzeugt werden. „Mein Vater fuhr mit seinem immer sauberen Mercedes 280 S frühmorgens zum Schlachthof, stellte sich mit geöffnetem Kofferraum, der damals noch weißen Carbox und einem Stapel Prospekte darin auf den Hof und wartete“, erinnert sich Stefan Bellinger.


„Die Leute waren misstrauisch, aber neugierig – und schnell überzeugt. Schon wurden die ersten Stücke verkauft.“ Carl Bellinger hatte oft das Gespür für den richtigen Zeitpunkt: Anfang der 1970er Jahre ging es in der Automobilbranche mit dem Zubehörmarkt erst so richtig los. Felgen, Spoiler, Weißwandreifen, Lederlenkrad – es wurde produziert und geliefert, was das Autoherz begehrte. Somit entstand über die Autohersteller eine Handelsstruktur für Zubehör, wovon auch Carbox profitierte. BMW war Anfang der 1970er Jahre der erste Hersteller, der die Carbox mit in sein Zubehörprogramm aufnahm. Ein großer Erfolg für das Unternehmen aus Norddeutschland, das seine Produktion nun sogar auf die Olympischen Spiele ausrichten musste: So kündigte BMW im Februar 1972 an, dass der alljährliche Betriebsurlaub nicht im Sommer sei, sondern auf die Olympischen Sommerspiele 1972 in München vom 21. August bis zum 12. September abgestimmt werde.

Aus der Wanne für den Metzger war ein richtiges Autozubehör geworden. 1974 wurde „JV Carbox“ als Wort-Bildmarke eingetragen – eine Kombination aus den Initialen von „Jorns & Vahland (JV)“ und „Carbox“.

„Mein Vater konnte vieles, aber kein Englisch“, sagt Stefan Bellinger. „Und ausgerechnet er hat den Namen Carbox erfunden! Erst 1998 konnte „Carbox“ als Europäisches Warenzeichen eingetragen werden. „Es ist einfach genial, dass wir diesen Begriff für uns schützen konnten. Carbox ist heute unser Markenzeichen. Und besser kann das Produkt doch gar nicht beschrieben werden“, sagt Stefan Bellinger.

Die Nachfrage nach Carbox stieg. Dementsprechend musste die Produktion erhöht werden. Dazu waren die Räume in Bremen-Vegesack inzwischen längst zu klein – schon 1969 zog Jorns & Vahland nach Achim. Ein kleiner Sprung ins Bremer Umland, aber ein großer für das Unternehmen, das seine Produktion auf ein 7.500 Quadratmeter großes Grundstück im Gewerbegebiet Achim-Ost verlegte.

Ein Umzug nach Niedersachsen, obwohl Jorns & Vahland gerne im Bremer Stadtgebiet geblieben wäre. Doch Bremen interessierte sich mehr für die großen Unternehmen. Die mittelständischen Unternehmen wurden eher stiefmütterlich behandelt, auch Jorns & Vahland wurde trotz Wachstum keine ausreichende Fläche für die Produktion zur Verfügung gestellt. Also ging es nach Achim, ca. 10 km südlich von Bremen. Jorns & Vahland war damals das dritte Unternehmen überhaupt, das sich in diesem Gebiet direkt an der Autobahn 27 ansiedelte. Später kamen noch mal 5.000 m2 dazu, so dass Carbox heute auf insgesamt 12.500 Quadratmeter ansässig ist.

Im Juni 1976 wird das „Jorns & Vahland Kunststoff-Verarbeitungs-Werk, Inh. Carl Bellinger“ in „JV Carbox Carl Bellinger GmbH & Co. KG“ umbenannt. „Der Name war manchmal etwas verwirrend“, berichtet Stefan Bellinger. „In manchem Messe-Aussteller-Verzeichnis waren wir unter B (Bellinger), C (Carbox) oder J (JV Carbox) zu suchen.

Stefan Bellinger vertritt den Standpunkt: „Die Marke ist Programm, sie prägt und zieht die Firma.“ Seit 2005 heißt das Familienunternehmen deshalb „Carbox GmbH & Co. KG“.

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